
Agile Denkweise
Written by Robert
📅 2025-03-27 | 🚀 Galvanytics | 🏷️ Projectmanagement
„Das Gegenteil von Agilität ist die Trägheit eines Unternehmens" - Hannan und Freeman 1989
Inhaltsverzeichnis
TABLE OF CONTENTS
- 1.12 Prinzipien des agilen Manifests#12-prinzipien-des-agilen-manifests
- 2.Das agile Mindset#das-agile-mindset
- 2.1.Agilität braucht Lernen#agilität-braucht-lernen
- 3.Wertschöpfung durch Agilität#wertschöpfung-durch-agilität
- 3.1.Wertschöpfung über alles#wertschöpfung-über-alles
- 3.2.Die Produktvision: Dem Projekt Sinn geben#die-produktvision-dem-projekt-sinn-geben
- 3.3.Messung von Wertschöpfung: Der Schlüssel zur Agilität#messung-von-wertschöpfung-der-schlüssel-zur-agilität
- 3.4.Pragmatismus schlägt Perfektion#pragmatismus-schlägt-perfektion
- 3.5.Priorisierung mit dem Product Backlog#priorisierung-mit-dem-product-backlog
- 3.6.Qualität im Fokus#qualität-im-fokus
- 3.7.Kundenzentrierung mit Design Thinking#kundenzentrierung-mit-design-thinking
- 3.8.Feedbackkultur etablieren#feedbackkultur-etablieren
- 3.9.Offen für Veränderung#offen-für-veränderung
- 3.10.Nachhaltiges Arbeitstempo#nachhaltiges-arbeitstempo
- 4.Vom agilen Team zur agilen Organisation#vom-agilen-team-zur-agilen-organisation
- 5.Fazit#fazit
Grundprinzipien
Was ist Agilität? Agilität ist ein Ansatz für das Projektmanagement stammend aus der Softwareentwicklung.
„Agilität ist die Fähigkeit eines Unternehmens sich kontinuierlich an seine komplexe, unsichere und turbulente Umwelt anzupassen.“ - Goldman et al. 1995
Basierend auf dem agilen Manifest1 (Snowbird Meeting - Utah, USA), welches 2001 von 17 Softwareexperten verfasst wurde, gibt es 4 Grundprinzipien:
- Individuen und Interaktionen mehr als Prozesse und Werkzeuge
- Funktionierende Software mehr als umfassende Dokumentation
- Zusammenarbeit mit dem Kunden mehr als Vertragsverhandlung
- Reagieren auf Veränderung mehr als das Befolgen eines Plans
Die traditionelle Softwareentwicklung basierte auf dem Wasserfallmodell (strikter sequenzieller Prozess), was den Entwicklern zu langsam und unflexibel war. Sie wollten Softwareentwicklung besser machen, Termine besser einhalten und dem Kunden stets ein wertvolles Produkt liefern. Zudem haben sich die Umgebungsparameter durch das aufkommende Tempo deutlich verändert, so dass immer mehr Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität (VUCA) herrschte.
Genau da soll Agilität helfen: in komplexen und unbekannten Umgebungen mit sich verändernden Anforderungen.

Es gab bereits viele agile Methoden, die sich in der Praxis bewährt haben, wie z.B. Kanban (1940s), Scrum (1990s), Feature Driven Development, Crystal Clear, Extreme Programming (XP), Lean Software Development, Adaptive Software Development, Dynamic Systems Development Method (DSDM), Rapid Application Development (RAD), usw. Alle diese Methoden wurden im Manifesto berücksichtigt und haben sich in der Praxis bewährt. "Agile" ist also ein Sammelbegriff für all diese Methoden.
„... schnell an (interne und externe) Veränderungen anzupassen indem es die Fähigkeit entwickelt, diese Veränderungen möglichst rechtzeitig zu antizipieren, selbst innovativ und veränderungsbereit zu sein, ständig als Organisation zu lernen und dieses Wissen allen relevanten Personen zur Verfügung zu stellen.“ - Dove 2001
12 Prinzipien des agilen Manifests
Neben den bereits erwähnten 4 Grundprinzipien kamen 12 weitere Prinzipien hinzu. Es kann helfen diese Punkte als Anleitung für die agile Denkweise zu verwenden und sich immer wieder daran zu orientieren.
- Höchste Priorität ist es, den Kunden durch frühe und kontinuierliche Auslieferung von wertvoller Software zufrieden zu stellen.
- Akzeptanz und Wertschätzung (Welcome) von sich ändernden Anforderungen, auch spät in der Entwicklungsphase. Ergebnis - Wettbewerbsvorteil des Kunden.
- Lieferung von funktionierender Software in kurzen Zeitabständen, bevorzugt in wenigen Wochen oder Monaten.
- Zusammenarbeit zwischen Business Leuten (Fachexperten) und Entwicklern auf täglicher Basis während des gesamten Projekts.
- Baue Projekte um motivierte Individuen. Gib ihnen das Umfeld und die Unterstützung, die sie benötigen und vertraue darauf, dass sie den Job erledigen.
- Die effizienteste und effektivste Methode, Informationen an und innerhalb eines Entwicklungsteams zu übermitteln, ist im Gespräch von Angesicht zu Angesicht.
- Funktionierende Software ist das wichtigste Fortschrittsmaß.
- Agile Prozesse fördern nachhaltige Entwicklung. Die Auftraggeber, Entwickler und Benutzer sollten ein gleichmäßiges Tempo auf unbegrenzte Zeit halten können.
- Kontinuierliches Augenmerk auf technische Exzellenz und gutes Design erhöht die Agilität.
- Einfachheit - die Kunst, die Menge nicht getaner Arbeit zu maximieren - ist essenziell.
- Die besten Architekturen, Anforderungen und Entwürfe entstehen in selbstorganisierten Teams.
- In regelmäßigen Abständen reflektiert das Team, wie es effektiver werden kann, und passt sein Verhalten entsprechend an.
Das agile Mindset
Agilität beginnt im Kopf - es ist das "anders" Denken über die Arbeit. Tools und Methoden helfen nur, wenn das Mindset stimmt und die Gründe von agilen Praktiken hinterfragt werden. Das ist auch das Komplizierte, wenn bereits feste klassische Strukturen vorherrschen.
Nur agile Praktiken einzuführen als weiteres Tool im Projektmanagement, wird die Produktivität nicht steigern - jeder muss an Board sein und sein Handeln hinterfragen. Das Team muss sich auf die Werte und Prinzipien des agilen Manifests einlassen und bereit sein, sich ständig weiterzuentwickeln.
Die Kernmerkmale:
- Lernbereitschaft statt Rechthaben
- Vertrauen statt Kontrolle
- Mut zu Experimenten statt Angst vor Fehlern
- Kundenfokus statt interner Optimierung
„Agilität ist nicht neu ... und bei weitem keine Methode - es ist eine Haltung.“ - André Häusling2 2017
Durch die neuen Anforderungen an die Softwareentwicklung und die Komplexität haben sich auch unterschiedliche Rollen und Verantwortlichkeiten entwickelt, die sich nicht mehr nur auf den "reinen" Softwareentwickler beschränken.
Somit muss sich auch das Management anpassen (top-down wird nicht funktionieren, weil die Manager gar nicht all das Wissen vereinen können) und die Verantwortung auf die Teams übertragen. Das bedeutet, dass die Teams (Silos) selbstorganisiert arbeiten und Verantwortung für ihre Arbeit übernehmen und die Manager sich auf die Unterstützung der Teams bzw. der Organisation von cross-functional Teams konzentrieren sollten.
Ein weiterer Punkt ist die Reduzierung der Arbeitspakete. Ein schönes Beispiel ist das Penny Game, was zeigt, dass durch die Reduzierung der Arbeitspakete und die kontinuierliche Teamarbeit zwar die Effektivität jedes Individuums sinkt, jedoch die gesamte Produktivität steigt und der Kunde bekommt sein Produkt am Ende schneller.
Agilität braucht Lernen
Agilität ist untrennbar mit Lernen verbunden. Ein Team kann nur dann schnell und effektiv auf neue Situationen reagieren, wenn es fortlaufend lernt. Eine lernende Organisation ist in der Lage, fundierte Entscheidungen auf Basis aktueller Informationen zu treffen - das ist der wahre Wettbewerbsvorteil in der Wissensökonomie. Teammitglieder sind wie Sensoren, die durch Kundeninteraktionen, Feedback und Datennutzung ständig neue Erkenntnisse liefern.
👉 „Mehr zur Rolle von Feedback in agilen Teams findest du im Abschnitt Feedbackkultur etablieren.“
Wertschöpfung durch Agilität
Das Manifesto priorisiert die Entwicklung eines funktionierenden Produkts anstatt umfassender Dokumentation. Das führt zu einer Schlüsselkompetenz innerhalb der agilen Denkweise - Wertschöpfung vor Output.
Wertschöpfung über alles
Traditionell beginnt ein Projekt mit einer detaillierten Leistungsbeschreibung. Erfolg wird daran gemessen, ob alle geplanten Deliverables abgeliefert wurden. In der agilen Welt ist das anders: Der Fokus verschiebt sich vom Output zum Outcome, d.h. zur Wertschöpfung für den Kunden. Was nützt ein gut durchdachter langfristiger Plan, wenn am Ende die Ziele gar nicht erreicht werden können oder sich Prioritäten verschieben? Ein Mehrwert für den Kunden wird geschaffen, wenn er planbar und messbar in einer konstanten Geschwindigkeit Software geliefert bekommt.
Wichtig: Agile Teams verzichten auf starre, umfangreiche Spezifikationen. Stattdessen teilen sie Projekte in priorisierte Funktionsblöcke auf, die flexibel angepasst werden können - ideal in dynamischen Märkten.
Die Produktvision: Dem Projekt Sinn geben
Wie schafft man aktiv Wert? Durch eine klare, gemeinsam entwickelte Produktvision, die mit der Unternehmensvision harmoniert. Dies geschieht z.B. in Workshops mithilfe von Tools aus dem Lean Startup-Ansatz.
Ein beliebtes Werkzeug ist das Lean Canvas - ein einseitiger Businessplan, der mit dem Problem startet und zur Lösung führt. Daraus ergibt sich eine gemeinsame Value Proposition, die das „Warum“ des Projekts erklärt.
Messung von Wertschöpfung: Der Schlüssel zur Agilität
Wert ist kein Bauchgefühl - er muss messbar sein. Nur so lässt sich beurteilen, ob ein Projekt erfolgreich ist oder angepasst werden muss.
Agile Teams nutzen dazu:
- Quantitative Daten (z.B. über Google Analytics, Hotjar)
- Qualitative Daten (z.B. Nutzerfeedback via Intercom)
Ein nützliches Konzept ist die Fokussierung auf die One Metric That Matters (OMTM) - eine einzige, zentrale Kennzahl, die den Erfolg messbar macht.
Pragmatismus schlägt Perfektion
Agilität heißt auch: schnell funktionierende Produkte liefern, auch wenn diese noch nicht perfekt sind. Das Stichwort hier ist das Minimum Viable Product (MVP) - die erste, einfache Version eines Produkts mit dem Ziel: Nutzerfeedback einholen und daraus lernen. Wichtig ist hier, dass wir wirklich über funktionierende Software sprechen - nicht nur über eine Idee oder ein Konzept in PowerPoint oder Wireframes. Der Kunde sollte das Produkt in der Hand haben und damit arbeiten können und somit erst gar nicht die Frage stellen: „Wann kann die Software ausgeliefert werden?“
Beispiel: Twitter nutzte zu Beginn SMS als MVP!
Priorisierung mit dem Product Backlog
Zur Umsetzung eines MVPs braucht es Priorisierung. In Scrum geschieht das über das Product Backlog - eine priorisierte Liste von Anforderungen meist in Form von User Stories. Der Fokus liegt zuerst auf das Fertigstellen der wichtigsten Funktionen in den ersten Sprints, die den größten Wert für den Kunden haben. Iterativ werden dann weitere weniger kritische Funktionen hinzugefügt, was die kontinuierliche Auslieferung von Software ermöglicht.
Beispiel einer User Story:
„Als Nutzer möchte ich auf ein Icon klicken können, um schnell meine wichtigsten E-Mails zu finden.“
Die Backlog-Priorisierung erfolgt entlang der Dimensionen:
- Wert für den Nutzer
- Aufwand
- Realisierbarkeit
Ein agiles Team bei Spotify priorisierte ein neues Feature, weil Nutzerdaten zeigten, dass viele User ihre Playlists teilen wollten - obwohl das Feature ursprünglich gar nicht auf dem Plan stand. Nach dem Launch explodierten die Sharing-Zahlen - ein echter „Outcome“-Erfolg.
Qualität im Fokus
Agil bedeutet nicht „schnell und schlampig“. Im Gegenteil: Agile Teams streben technische Exzellenz an. Sie arbeiten mit:
- Akzeptanzkriterien (Checklisten zur Definition von „fertig“)
- Aufwandschätzungen
- Pair Programming (Entwickler arbeiten zu zweit am Code)
Kundenzentrierung mit Design Thinking
Agilität ist nutzerzentriert - und Design Thinking liefert den passenden Rahmen:
- Empathize: Nutzer verstehen (Interviews, Beobachtungen)
- Define: Problem klar beschreiben
- Ideate: Lösungsideen generieren
- Prototype: Lösung bauen
- Test: Feedback einholen
Ziel: Problem-Solution-Fit → passt unsere Lösung wirklich zum Kundenproblem?
Feedbackkultur etablieren
Agile Teams holen laufend Nutzerfeedback ein:
- Sprint Reviews mit Kunden
- Usability-Tests
- Fokusgruppen
- Nutzerkomitees oder -clubs
Offen für Veränderung
Ein zentrales Prinzip agiler Teams: Veränderung willkommen heißen, selbst spät im Projekt. Feedback, neue Wettbewerber oder Strategieänderungen werden als Chancen gesehen.
Das Team arbeitet empirisch: „Was habe ich gestern gelernt - was ändere ich heute?“
Nachhaltiges Arbeitstempo
Agil bedeutet auch: gesundes, kontinuierliches Arbeitstempo - ohne Burnout, mit klarer Richtung und Feedback-Schleifen.
- Sustainable Pace: Teams arbeiten in einem Tempo, das sie langfristig halten können (z.B. 40 Stunden pro Woche).
- Timeboxing: Feste Zeitrahmen für Aufgaben und Prozesse. Das bedeutet ein Meeting mit 45 Minuten endet auch nach 45 Minuten, egal ob das Thema besprochen wurde oder nicht.
- Predictable Delivery: Teams liefern regelmäßig in kurzen Zyklen (z.B. alle 2 Wochen) und können so den Fortschritt besser einschätzen.
Vom agilen Team zur agilen Organisation
Zum Schluss und auch nur am Rande, wenn Agilität skalieren soll, braucht es:
- Gemeinsame Visionen
- Synchronisierte Product Owner
- Tools wie Scrum@Scale (CPO, Scaled Daily Scrum, gemeinsame Release-Planung) oder SAFe
Auch Modelle wie Spotify3 mit Chapters, Squads und Tribes helfen bei der Organisation.
Fazit
Agilität ist mehr als ein Buzzword - sie ist eine Denkweise. Sie hilft Teams, sich auf unerwartete Änderungen einzustellen und schnell auf Kundenwünsche zu reagieren. Agilität bedeutet nicht Chaos, sondern Struktur und Fokus auf das Wesentliche:
- Wertschöpfung vor Output
- Kundenzentrierung und Feedback
- kontinuierliches Lernen und sich anpassen
- schnelle Ergebnisse durch kurze Zyklen
- und die gesamte Organisation mit einbeziehen
Um ein agiles Mindset zu etablieren benötigt es große Veränderungen in der Denkweise und der Unternehmenskultur, was herausfordernd und unbequem sein kann. Agile Teams arbeiten eng zusammen und lassen die traditionellen Hierarchien und Verantwortlichkeiten verblassen. Manager müssen sich anpassen Updates durch funktionierende Software und regelmäßige Sprint Reviews zu erhalten, anstatt durch klassische Statusberichte. Ob von Bottom-up oder Top-down - es ist wichtig, dass alle an einem Strang ziehen und die Werte und Prinzipien des agilen Manifests leben. Man kann klein starten durch ein agiles Team und sich dann Schritt für Schritt durch die Organisation weiterentwickeln. Agilität ist kein Ziel, sondern ein Weg - und der Weg ist das Ziel und dieser Weg kann auch mal 5-10 Jahre dauern.